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Unser Malerbetrieb wird immer bunter
Eigentlich wollte ich keinen weiteren Auszubildenden mehr einstellen. Unser Team war komplett und gut eingespielt: ein Traum für jeden Handwerksmeister. Doch dann kam alles anders: Nach einem Vortrag im Erdinger Stadtrat zum Thema Flüchtlinge, trat die Referentin der Flüchtlingshilfe, Frau Hoffmann, an mich heran. Ihr Anliegen: Ein Flüchtling aus Afghanistan konnte in seinem bisherigen Ausbildungsbetrieb nicht bleiben und war auf der Suche nach einem Betrieb für das dritte Ausbildungsjahr. Na ja, ansehen konnte ich ihn mir ja einmal. Gesagt getan: Nach einem einmonatigen Praktikum war ich überzeugt und begeistert: Von einem jungen, höflichen Mann mit erstaunlich handwerklichem Geschick, sehr guten Deutschkenntnissen und einer Arbeitserlaubnis für weiter 2 Jahre in der Tasche. Seit dem 1. September 2017 ist Herr Mohamad Jawed Jami nun Teil meines Maler-Beil-Teams. Wie es ihm dabei geht, darüber haben wir an einem Freitagnachmittag nach der Arbeit im kleinen Kreis gesprochen.
Auf welcher Baustelle arbeitet ihr gerade?
Im evangelischen Pfarrhof in der Dr. Henkel Straße. Hier haben wir erst die Kellerdecke gedämmt, Wände und Decken im ganzen Haus gestrichen sowie Fenster und Türen lackiert.
Macht dir diese Arbeit Spaß?
Ja, sehr.
Welche Arbeit machst du in deiner Ausbildung am liebsten?
Bei schönem Wetter Fassaden streichen. Ich bin so gerne draußen.
Und wie kommst du in der Berufsschule zurecht?
Eigentlich ganz gut. Nur manchmal, wenn die Lehrer zu viel bayerisch sprechen, habe ich Probleme. Dann frage ich Kollegen oder meinen Meister.
Und wenn die auch bayerisch reden?
Dann sage ich höflich: „Bitte hochdeutsch“.
Wo hast du so gut Deutsch gelernt?
Ich war ein Jahr auf dem BVJ (Berufsvorbereitungsjahr) in München. Danach habe ich 5 Monate intensiv einen Deutschkurs besucht. Und ich habe viele deutsche Freunde. Mit ihnen lerne ich am meisten. Die Gespräche mit meinen deutschen Kollegen helfen mir auch sehr.
Als was hast du in deiner Heimat Afghanistan gearbeitet?
Ich habe Teppiche mit der Hand geknüpft.
Ist das ein Ausbildungsberuf?
Nein (lacht). Das macht man einfach. So etwas wie eine Ausbildung wie hier mit Schule, das gibt es in unserem Land nicht. Auch nicht für Maler. In Afghanistan nehmen wir einfach einen Eimer Farbe und malen drauf los. Qualität ist das nicht. Wenn die Farbe nach kurzer Zeit wieder abblättert wird sie dann im nächsten Jahr einfach wieder übermalt.
Wie ist es dir denn dann am Anfang deiner Lehrzeit gegangen?
Ich habe auch einfach gemacht. Als ich ein Zimmer streichen musste, habe ich den Eimer mit der Farbe genommen und gemalt. Ohne die Farbe zu verdünnen oder umzurühren. Als ich fertig war ist mein Chef total erschrocken: Die ganze Wand war voller Flecken! Das würde mir heute nicht mehr passieren.
Wo siehst du dich in 5 Jahren?
Ich möchte selbstständig als Maler arbeiten. Und ich möchte auf jeden Fall hier bleiben. Die Menschen hier sind total nett und offen. Erding ist so sauber. Ich habe viel Hilfe erfahren und Freunde gefunden. Ich kann nicht mehr nach Hause.
Warum?
Ich bin ein Religionsflüchtling und damals vor den Taliban geflüchtet. Ohne meine Familie. Mittlerweile ist fast niemand mehr in meinem Dorf. Von früher 1000 Bewohnern sind nur noch 6 Familien übrig, sagen meine Geschwister. Sie kommen nicht weg, die Wege aus der Stadt sind zu gefährlich.
Wie ist das hier für dich ohne Familie?
Ich bin dankbar für meine Freiheit. Durch meine Ausbildung und meine Freunde hier fühle ich mich schon fast wie ein Europäer.
Das kann ich als sein Ausbilder nur bestätigen. Herr Jami hat sich super in unser Team eingelebt, arbeitet sauber und zuverlässig. Unser Team ist mit ihm noch bunter geworden. Obwohl ich am Anfang skeptisch war und mich die Riesen-Schreiberei mit Arbeitsamt, der Handwerkskammer, der Ausländerbehörde usw. abgeschreckt hatte, würde ich es jederzeit wieder so machen. Ich wollte Herrn Jami eine Chance geben - ihm helfen. Und ich kann meinen Kollegen und Mitstreitern im Handwerk nur dazu raten!
Es ist unsere gesellschaftliche Pflicht, uns um andere zu kümmern. Egal woher sie kommen. Jeder hat eine Chance verdient. Und bis auf den bürokratischen Wahnsinn habe ich auch von anderen Handwerksmeistern nur Gutes gehört. Mein Appell: Traut euch!
Euer Jürgen Beil