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So wird aus Bürokratie Betrug: Die Geschichte einer ganzen normalen Ausschreibung
Vor kurzem habe ich ein Angebot für einen öffentlichen Auftraggeber erstellt. Es handelte sich um eine Anfrage über 50 Räume und 50 Badezimmerdecken. Die Aufgabe: Die Decken und Wände sollten weiß gestrichen werden.
Da der Untergrund so gut wie einwandfrei war, lautete mein Angebot: Alles abdecken und 1 Mal mit Waschfester-Innenfarbe streichen. Das ist vollkommen ausreichend, um ein einheitliches Anstrichbild zu erzielen. Ich kalkulierte mit spitzer Feder und machte ein gutes Angebot.
2 Monate später ...
... erhielt ich von diesem Auftraggeber einen Umschlag mit einer Ausschreibung für Malerarbeiten für genau dieses Objekt, mit genau der gleichen Aufgabe. Der Architekt hatte sich die Mühe gemacht, eine 70-seitige Ausschreibung auszuarbeiten. Es war ihm auch nicht zu dumm alle Arbeitsschritte einzeln anzufragen.
Folgendes wurde angefragt:
- Abdeckarbeiten
- Untergrundprüfung und Spachtelarbeiten
- alle Flächen mit Tiefgrund grundieren
- 1 Zwischenanstrich mit matter Latexfarbe und
- 1 Schlussanstrich mit matter Latexfarbe
Meine Meinung dazu:
- Der Tiefgrund bringt nichts, da der Untergrund nicht saugfähig ist. Er liegt wie eine Zwischenschicht auf der alten Farbschicht und wird eher abperlen als einen Vorteil zu bringen.
- Warum einen Zwischen- und 1 Schlussanstrich ausschreiben, wenn doch ein Anstrich zum gleichen Ergebnis führt? Zutreffender wäre hier die Formulierung: „deckend weiß streichen“.
- Warum eine matte Latexfarbe? Diese ist teurer, bringt aber von der Verschmutzung nicht viele Vorteile. Das ist eher was für ein Treppenhaus.
Ich kalkulierte also die Preise für diese Ausschreibung neu ...
... und so kam es, dass mein neues Angebot mehr als doppelt so teuer wurde wie mein erstes Angebot.
Ist ja klar: Ich muss schließlich drei Anstriche anstatt einem aufbringen – ob sinnvoll oder nicht. Und schließlich müssen ja bei einem Wettbewerb für alle die gleichen Regeln gelten. Deswegen macht man ja eine Ausschreibung.
Aus diesem Grund machte ich ein Nachtrags- bzw. Alternativangebot mit nur 2 Anstrichen. Und fügte es der Ausschreibung bei. Gleichzeitig der Hinweis auf mein erstes Angebot.
Als ich nach ca. 3 Wochen das Ergebnis bekam, fiel ich fast vom Stuhl: Ich war mit weitem Abstand der teuerste Anbieter. 3 Kollegen hatten mit Endpreisen angeboten, die sehr nahe an meinem ersten Angebot lagen. Zwei Mitbewerber waren ca. 20 % günstiger als mein Angebot mit 3 Anstrichen. Die Folge: Der Auftrag ging an den wirtschaftlichsten Anbieter, also den billigsten. Dieser war zwar um ca. 500 Euro teurer als der Preis meines ersten Angebots, aber bei der Ausschreibung der Günstigste.
Ich frage mich jetzt: Wie werden die Arbeiten ausgeführt?
- Streicht dieser Anbieter tatsächlich 3 Anstriche wie vorgeschrieben?
- Oder streicht er einmal und rechnet aber 3 Anstriche ab.
- Wird so etwas kontrolliert?
- Wer soll sich neben die Arbeiter stellen und das kontrollieren?
- Was kosten die Arbeiten den Steuerzahler?
- Wer kommt für die Kosten für den Architekten auf?
Wenn ich den Auftrag gleich bei meinem ersten Angebot bekommen hätte, wären keine Gebühren für Ausschreibung, Architekt, Porto, Papier und Bearbeitung angefallen. Die Gemeinde hätte sich mehrere Hundert oder sogar Tausend Euro gespart, bei gleicher Qualität und Leistung.
Oder können die anderen „Fachbetriebe“ nur besser Kalkulieren? Ist es möglich, ein Zimmer mit Baddecke abzudecken und 3 x zu streichen, wenn man dafür nur insgesamt 1,5 Stunden berechnen kann? Der Rest geht ja für Farbe und Abdeckmaterial drauf.
Das Schlimmste ist, dass man bei dieser Ausschreibung merkt ...
... es sind nicht nur einzelne Firmen, die sich auf so etwas einlassen – es gibt viele Firmen die sich vermutlich nicht an die Angaben in der Ausschreibung halten. In meinen Augen ist es ganz klar Betrug, wenn 3 Anstriche ausgeschrieben sind und nur 1 oder 2 Anstriche ausgeführt werden.
Genauso ist es Unsinn, einen Architekten zu beauftragen, der von den meisten Arbeiten nur Halbwissen hat und Dinge ausschreibt, die niemand braucht aber den Preis in die Höhe treiben.
Deshalb mein Tipp:
- Gehen Sie zu dem Handwerker Ihres Vertrauens und fragen Sie ihn nach seiner Meinung. Er kennt sich aus und weiß, wie die Arbeiten auszuführen sind.
- Schauen Sie nach Bewertungen im Internet bei QIH oder Google und lassen sie sich nicht blenden von unseriösen Anbietern.
- Kontrollieren Sie die Arbeiten, ob das richtige Material eingebaut wird und die Schichtstärken eingehalten werden.
Ähnliches sagte übrigens schon der englische Autor und Sozialphilosoph John Ruskin (1819-1900) in seinem Gesetz der Wirtschaft: „ Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen kann und etwas billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Menschen.“ Wir finden, darüber lohnt es sich, nachzudenken.
Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen
Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen. In diesem Fall hätte ich als Meisterbetrieb den Auftrag kostengünstig ausgeführt – inklusive 5 bis 6 Arbeitsstunden für fachliche Beratung und knallharte Kalkulation. Weil ich den Anforderungen des Architekten ehrlich und fachlich korrekt nachgekommen bin, ging ich komplett leer aus.
Ihr Jürgen Beil & Team